Faszination und Neuanfang liegen in der Luft – Doch wirkliche Veränderung braucht mehr- zu Mk 6, 1-6
Jesus predigt. Die Menschen sind berührt und fasziniert. Aus ihm spricht eine Weisheit, die alles Gewohnte in den Schatten stellt. Durch ihn geschehen Machttaten, die betroffen machen. Da liegt die Frage auf der Hand: „Woher hat er das alles?“ Ist hier Gott am Werk? Und wenn: Müssten wir das dann ernst nehmen – gilt es, sich auf Jesu Wort einlassen?
Zur Zeit Jesu hofften viele auf Befreiung und Heil, auf Neues – auf einen Neuanfang. Die Sehnsucht nach Aufbruch und Veränderung erfüllt Menschen immer wieder – damals wie heute. „Weiter wie bisher geht nicht mehr“, ist angesichts von Corona allenthalben zu hören, etwa im Blick auf Klima, Umwelt oder die prekäre Situation der Pflege. Aber nicht nur dort: Auch die Kirche ist an einem toten Punkt. Kardinal Marx schrieb dies vor kurzem an Papst Franziskus. Und dieser bestätigte dessen Eindruck. Es braucht einschneidende Veränderungen, einen Neustart. Doch so sehr Veränderung propagiert wird – wirkliche Bereitschaft zur Veränderung, zu einem echten Neuanfang, ist damit noch lange nicht gegeben. Verständlich. Veränderung kann weh tun. Wenn’s an den Lebensstil, ans sprichwörtliche Eingemachte geht, sind die Widerstands- und Beharrungskräfte nicht zu unterschätzen. Auch Jesus blieb davon nicht verschont. Von einem Moment zum anderen verwandelt sich Staunen in Ablehnung. Aus dem faszinierten „Das gibt’s doch nicht!“ wird ein abwehrendes „Kann doch nicht sein“. |
Von dort brach Jesus auf und kam in seine Heimatstadt; seine Jünger folgten
ihm nach. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm. Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort keine Machttat tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte. Mk 6, 1-6 |
Veränderung braucht meist einen Anstoß „von außen“
Dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, bekommt Jesus selbst zu spüren. Alle Evangelien berichten davon. – „Kennen wir schon“, „bringt nichts“, „Was sagen da die Leute?“ sind allzu geläufige „Totschlag“-Argumente. Natürlich können sie Ausdruck eines gesunden Beharrungsvermögens sein. Wer wirft schon gewachsene Sicherheiten und Vertrautes so einfach über Bord.
Doch das Gewohnte und Eingeschliffene kann auch betriebsblind machen. Zweifellos ist Neues nicht automatisch gut oder gar besser. Vertrautes aufgeben, bewährte und ausgetretene Pfade verlassen, braucht gute Gründe und ein waches Gespür – braucht die Bereitschaft, eine veränderte Perspektive wirklich an sich heranzulassen.
Selbstverständlich ist das nicht. Immer wieder braucht es Impulse von außen: die Presse in der Politik, den Berater in der Firma, den Seelsorger und Therapeuten im persönlichen Leben. Als Impulsgeber hat Kirche da eine lange Tradition. Da kommt der neue Pfarrer bzw. die neue Gemeindereferentin von außen, da gibt es Visitationen und Exerzitien, Wallfahrten und Besinnungstage. Ja, fremde Prediger bzw. neue Texte können uns durch ihre ungewohnte Sprache manchmal ganz neu die Frische und Faszination der Botschaft Jesu, die Lebendigkeit des Wortes Gottes spüren und erfahren lassen.
Veränderung braucht die Unterbrechung des Gewohnten
Der Wunsch nach Urlaub ist in diesem Jahr besonders groß. Die Corona-bedingten Einschränkungen haben mürbe gemacht, manchen sogar innerlich an den Rand gebracht. Da braucht es ein „Raus aus dem Alltagstrott“. Es muss nicht gleich Mallorca sein. Jeder Sonntag lädt uns zur Unterbrechung des Gewohnten ein. Ein Tapetenwechsel kann Flucht sein – aber auch eine heilsame Zäsur. Der Alltag mit seinem Getriebe, seinen Nöten und Zwängen kann uns regelrecht gefangen nehmen: persönlich – im Miteinander – in der Kirche. Brauchen wir persönlich, als Gemeinde, als Kirche nicht öfter ein „Raus aus dem Hamsterrad“, damit Neuanfang und Neuaufbruch nicht nur ein frommer Wunsch sind?
Veränderung braucht die Erfahrung der eigenen Bedürftigkeit
Trotz aller Verschlossenheit konnte Jesus in seiner Heimat doch wirken. Er heilte Kranke – also Menschen, die mit ihren eigenen Möglichkeiten am Ende – gewissermaßen am „toten Punkt“ – waren. Menschen, die ihre Begrenztheit und Bedürftigkeit nicht überspielten, sondern dazu standen.
Eigene Verwundbarkeit und Ohnmacht zu spüren, – sei es angesichts Corona oder auch der vielfältigen Krisen in der Kirche – kann Wut und Abwehr hervorrufen. Verständlich. Wir möchten lieber die Ärmel hochkrempeln und die Lage in den Griff kriegen.
Doch wer akzeptiert, dass nicht alles machbar und erzwingbar ist, kann eine wesentliche Erfahrung machen: Notwendend ist nicht, was wir (uns) selbst (ver)schaffen, sondern das, was wir uns schenken lassen (können): Ein gutes Wort, Zuwendung, Bejahung und erlösende Vergebung. Veränderung und Neuanfang brauchen vor allem eines: das heilbringende Wort von außen – genau besehen: von oben. Das gilt für uns persönlich wie für unser Miteinander und ebenso für die Kirche in unserem Land.
Wenn wir am „toten Punkt“ sind, kann das zu einem Perspektivwechsel führen. Zu einer neuen Hörbereitschaft, zu einem Staunen und Sich-Berühren-Lassen, das uns mit den Menschen im Evangelium ausrufen lässt: Was ist das für eine Weisheit – was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen? Uns allen – ihnen und mir – wünsche ich (Sehnsucht nach) diesen neuen Blick.
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P. Hubert Lenz